Vortrag von Professor Dr. Hermann Ehmer über "Die Reformation in Württemberg und Heubach" am 19. Oktober 2017 im Heubacher Schloss

 

Dank dem Stuttgarter Innenstadtstau mit ein paar Minuten Verspätung, aber immer noch innerhalb des akademischen Viertels erreichte der Referent des Abends das Heubacher Schloss. Dorthin hatte der Schlossverein Mitglieder und interessierte Gäste eingeladen, um in einem geschichtlichen Vortrag Wissenswertes über die "Reformation in Württemberg und Heubach" zu erfahren. Mehr als 50 Anwesende konnte Dr. Weber als stellvertretender Vorsitzender des Vereins im "Haus der Tante von Martin Luthers Schwiegertochter" begrüßen, darunter auch den ehemaligen Stadtarchivar Gerhard Kolb und seinen derzeitigen Nachfolger, Dr. Michael Hensle. Unter den Anwesenden befand sich auch der Altbürgermeister und frühere Landtagsabgeordnete Klaus Maier. Ganz besonders herzlich wurde der Referent des Abends willkommen geheißen, Professor Hermann Ehmer, vormals Direktor des Archivs der Evangelischen Landeskirche in Stuttgart, dem derzeit wohl maßgebender Fachmann auf dem Gebiet der südwestdeutschen Reformationsgeschichte. Sein Vortrag in Heubach war immerhin schon der dreißigste, den der in diesem Jubiläumsjahr viel beschäftigte Referent zu halten hatte. Die hohen Erwartungen, mit denen Ehmer in Heubach empfangen wurden, sollten denn auch nicht enttäuscht werden. Sein Vortrag, frei und nur durch einige Notizen gestützt, hatte höchstes wissenschaftliches Niveau mit konzentriertester und für jedermann verständlicher Vortragsweise.

 

Der Redner führte einleitend die Voraussetzungen der Reformation vor Augen: Die Reformbestrebungen des 15. Jahrhunderts mit der Schaffung von Predigerstellen und der Reform geistlicher Orden im kirchlichen, der Reichsreform mit der Errichtung des Reichskammergerichts im weltlichen Bereich. Soziale Unruhen wie die Bauernaufstände und Umwälzungen im geistigen Leben durch den Humanismus, der das Zurückgehen auf die Quellen forderte, bekundeten das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit. Wichtig für das Verständnis der Reformation war die territoriale Situation im deutschen Südwesten, die Gemengelage der großen und kleinen Herrschaften wie das Herzogtum Württemberg oder Vorderösterreich, aber auch der Reichsstädte und ritterschaftlichen Gebiete. Jedes Territorium hatte seine eigene Reformationsgeschichte. Es gab die lokale Ebene, aber auch die Reichs- und Landesgeschichte, die sich allwechselseitig beeinflussten. Typisch für das 16. Jahrhundert war die Verbindung von Politik und Kirche, Gebiete, die damals nicht wie heute getrennt waren. Die weltliche Obrigkeit hatte maßgeblichen Einfluss auf die Religion, eine Entwicklung, die von der Reformation noch gefördert wurde.

 

Für Württemberg war ausschlaggebend das politische Schicksal Herzog Ulrichs, der wegen des Überfalls auf die Reichsstadt Reutlingen 1520 durch den Schwäbischen Bund aus seinem Land vertrieben worden war. Da der Bund das Land an König Ferdinand, den Bruder Kaiser Karls V., weitergegeben hatte, konnte sich die Reformation in Württemberg trotz gewisser Einflüsse, die unterdrückt wurden, zunächst noch nicht durchsetzen. Hier galt das Wormser Edikt von 1521, das die Lehre Luthers im Reich verboten hatte. Erst nachdem der hessische Landgraf Philipp, ein Verwandter Ulrichs, diesen mit militärischer Hilfe in der Schlacht von Lauffen am Neckar wieder in sein Land eingesetzt hatte, konnten die Reformatoren Schnepf (Heilbronn) und Blarer (Konstanz) Württemberg dem evangelischen Glauben zuführen. Die Reformation war ein Nebenprodukt dieser politischen Entwicklung.  Die Reformation veränderte das Leben der Menschen tiefgreifend. Sie wirkte sich für die Geistlichen in Form einer Stellenreduzierung aus, da unzählige Meßstiftungen und Kaplaneien nicht mehr bestanden. In Württemberg gab es in Zukunft auf den Dörfern nur noch einen Pfarrer, in den Städten zwei Geistliche, den Pfarrer und den Diakon ("Helfer"). Die Pfarrbesoldung wurde von der Pfründenwirtschaft auf feste Gehälter umgestellt, aus dem Kirchenvermögen ein Armen- oder Heiligenkasten gebildet, mit dem nicht zuletzt die Schulen finanziert wurden. Regelform des Gottesdienstes wurde der Predigtgottesdienst nach dem sogenannten "Prädikantenformular". Mit der Abschaffung des Heiligenkults änderten sich die Glaubensvorstellungen tiefgreifend. Da auf den Kathechismus (Luther, Brenz) großer Wert gelegt wurde, mussten auch die Bauern in den Dörfern das Lesen lernen: "Die Schule kam aufs Land". In der sogenannten Bilderfrage schloss sich Ulrich Blarer an, so dass es in Altwürttemberg zum Bildersturm kam, allerdings mit Ausnahmen, etwa in adeligen Patronatspfarreien. Durch den Schmalkaldischen Krieg, in dem auch Gmünd von sächsischen und hessischen Truppen eingenommen wurde, änderte sich die Lage. Nach dem Sieg Karls V. wurde das Interim eingeführt, eine Mischreligion mit katholischen Elementen wie der Messe und evangelischen wie der Priesterehe und dem Laienkelch. Es setzte sich jedoch in Württemberg nicht durch. Nach dem Fürstenaufstand und dem Passauer Vertrag von 1552 konnte die Reformation fortgesetzt werden. Sie wurde langfristig gefestigt durch die Kirchenordnung Herzog Christophs von 1559. Durch sie erhielt die württembergische Landeskirche eine hierarchische Organisation mit der Leitung durch ein aus Theologen und Laienzusammengesetztes Konsistorium, einer mittleren Ebene durch die General- und Spezialsuperintenten (Dekane) sowie die untere mit Ortspfarrern und Lehrern, die durch regelmäßige Visitationen überwacht wurden.

 

Auf besonderes Interesse der Zuhörer stießen naturgemäß die Ausführungen des Referenten über die Reformation in Heubach. Während die Oberamtsbeschreibung von 1870 noch der Meinung war, diese habe sich so ähnlich abgespielt wie im übrigen Württemberg, konnte Ehmer eine neue und richtigere Sicht der Dinge präsentieren. Zwei Umstände, führte er aus, standen hier der Reformation zunächst im Wege. Zum einen lag das Recht der Pfarrbesetzung in den Händen des Klosters Königsbronn, das der Reformation lange widerstanden hatte. Zum anderen hatte Württemberg in Heubach nicht viel zu melden, weil der Ort an die ritterschaftliche Familie von Woellwarth verkauft war, die der Reformation anfänglich ebenfalls nicht zugeneigt war. Erst nach der Verhaftung des Königsbronner Abts Boxler im Gefolge des Passauer Vertrags setzte Württemberg in Heubach einen evangelischen Pfarrer ein. Auch der woellwarthische Einfluß wurde beseitigt, indem das Städtlein 1579 wieder zurückgekauft und seitdem unmittelbar von Stuttgart aus regiert wurde. Der erste evangelische Pfarrer war Johann Jakobäus aus Wemding, ein ehemaliger Mönch im Oettingischen und zeitweilig im ulmischen Süßen tätig. Er wurde sogar Dekan ("Spezialsuperintendent"), musste aber wenige Jahre später wegen "Hitzigkeit" von diesem Amt entbunden werden. Ehmer erwähnte noch einen weiteren Heubacher Pfarrer, Georg Schilling aus Wimpfen, der von 1576 bis 1578 unter dem Rosenstein amtierte. Sein Name findet sich im Anhang des 1580 gedruckten Konkordienbuchs, einer Schrift über die einheitliche evangelische Glaubenslehre. Heubach wurde so in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine evangelische Insel, da die umliegenden gmündischen und rechbergischen Dörfer katholisch blieben. Es war gegen Ende des Jahrhunderts auch Zufluchtsort für die aus Gmünd emigrierten Evangelischen. So kam es, dass neben anderen Personen auch die Gattin des Oberhaupts der evangelischen Partei in Gmünd, Salome Terzago, in der Heubacher St. Ulrichs Kirche begraben liegt.

 

Abschließend ging Ehmer noch auf die Verwandtschaft der Familie Woellwarth, die das Heubacher Schloss erbaut hatte, zu der Familie des Reformators ein. Gattin des Schlossherrn Georg VII. von Woellwarth war Anna, Tochter des Gmünder Bürgermeisters Thomas Warbeck, deren Bruder Kaplan Veit Warbeck, ein Absolvent der Sorbonne in Paris, in Kursachsen als Diplomat und Prinzenerzieher Karrieregemacht hatte. Er war auch literarisch hervorgetreten als Übersetzer desaltfranzösischen Romans von der schönen Magelone, der in Deutschland zum Volksbuch wurde. Aus der Ehe Veits mit der Torgauerin Barbara Wager ging eine Tochter namens Anna hervor, die Paul Luther, Sohn des Reformators und Professor der Medizin, heiratete. So sind die Woellwarth bzw. Warbeck über den Kaplan Veit Warbeck mit Martin Luther verwandt, aber auch mit Philipp Melanchton, denn Barbara Wagers Tochter aus erster Ehe hatte dessen Sohn, den gleichnamigen Philipp, geheiratet. Als freilich Erasmus, ein Bruder Anna Luthers, 1561 in Heubach wegen des Erbes seiner Großmutter vorsprach, wurde er nicht ins Schloss hereingelassen und mit einem Trinkgeld von einem halben Gulden abgespeist.

 

Wohlverdienter Beifall belohnte den inhaltsreichen und interessanten Vortrag, für den sich Gabi Leib als erste Vorsitzende des Schlossvereins mit einem Buchgeschenk für den Referenten bedankte.