Heubacher „Verkehrsschmerzen“ – Die Anbindung Heubachs an die Remstalbahn

 

 

 

Am 11. Dezember 1905 schrieb der Heubacher Stadtschultheiß Wiedenhöfer an seinen Sindelfinger Amtskollegen: „Nach Blättermeldungen soll dort vom 1. Januar kommenden Jahres an ein Verkehr mit einem Motorwagen von Sindelfingen nach Böblingen eingerichtet werden. Hier bestehe eine ähnliche Absicht.“ Daher bitte er um kurze Einsicht in „die dort in dieser Sache aufgelaufenen Akten“. Dieses Schreiben von Stadtschultheiß Wiedenhöfer vor rund 110 Jahren markiert den ersten ernsthaften Versuch der Heubacher Stadtverwaltung, eine technisch zeitgemäße Anbindung an die in den 1860er-Jahren erbaute Remstalbahn zu erlangen. Damals hatte man die Zeichen der Zeit verkannt, wie rückblickend in einer Glosse unter der Überschrift „Verkehrsschmerzen“ in der Gmünder Zeitung vom 22. Februar 1911 bedauert wurde: „Kurz, als damals der Schienenstrang durch das Remstal gelegt wurde, war Heubach auf dem besten Wege, Eisenbahnstation zu werden und es bedurfte schon einiger Petitionen, dieses Unglück von dem in stiller Beschaulichkeit in seinem Talkessel liegenden Städtchen abzuwenden.“ Und weiter: „Seit jener Zeit liegen wir abseits der völkerverbindenden Verkehrsader, mit ihr lediglich verbunden durch einige herzlich schlechte Straßen, auf denen wie zu Großmütterchens Zeiten schwerfällig die Thurn und Taxis´sche – pardon königlich Württembergische – Postkutsche herhumpelt und rumpelt.“

 

In der Tat, aus dem beschaulichen Städtchen war ein beachtlicher Textilstandort geworden, allerdings abgehängt von jeglicher moderner Verkehrsinfrastruktur. Zur Schaffung einer solchen wandte sich Stadtschultheiß Wiedenhöfer 1908 auch an die Generaldirektion Post und Telegraphen in Stuttgart. Zielsetzung war die „Errichtung einer der Personen- und Lastenbeförderung dienenden Kraftwagenverbindung von Heubach nach Mögglingen“, möglichst im Rahmen des Postverkehrs. Nach einigem Hin und Her lehnt 1911 die Generaldirektion schließlich einen staatlichen Kraftwagenbetrieb ab.

 

Was nicht staatlich funktionierte, konnte vielleicht privat finanziert und organisiert werden? So holte sich Wiedenhöfer zahllose Angebote von Verkehrsanbietern und Kraftwagenbauern ein. Das beginnende 20. Jahrhundert war die Zeit des rasanten Aufstiegs der Automobilindustrie, unter anderem mit Gründungen der Büssing-Werke in Braunschweig1902, der Süddeutschen Automobilfabrik in Gaggenau 1905, der 1911 neu organisierten Benz & Cie., Rheinische Automobil- und Motorenfabrik AG, sowie der 1913 fusionierten Mannesmann-MULAG-Werke in Aachen. Es war die Zeit der Pioniere aber auch der Glücksritter.

 

Einer davon war die Firma Dieterle und Co. in Stuttgart, auf die die Heubacher Stadtverwaltung ihre Hoffnung setzte. Die Firma Dieterle erklärte sich im Oktober 1913 bereit, eine „Probe-Kraftwagenverbindung“ zwischen Gmünd – Bettringen – Bargau – Heubach zu eröffnen. Diese Ankündigung stieß auf ein geteiltes Echo. So schrieben „mehrere Arbeiter“ in der Remszeitung vom 20. Oktober, „dass mit dieser Verbindung der Arbeiterschaft nicht gedient ist, sondern nur den Herren und Frauen in Heubach. Der Plan des Hrn. Fabrikanten Schneider wäre das einzig Richtige gewesen: eine elektrische Bahn. Diese hätte alles befördern können. Wie kann ein Auto über 100 Arbeiter befördern?“

 

Ungeachtet der Kritik nahm die Firma Dieterle, die inzwischen als Filiale der Deutsche Lastautomobilfabrik AG firmierte, tatsächlich den Probebetrieb auf. Kaum einen Monat später meldete sich die Mitteldeutsche Gummi-Waren-Fabrik bei Stadtschultheiß Wiedenhöfer mit der Frage, ob die Einnahmen an die Automobilfabrik oder an Herrn Dieterle gingen? Dieterle schulde noch 8000 Mark und als er verklagt worden sei, hätte er „glatt den Offenbarungseid geschworen“.

 

Um Geld ging es noch in anderer Hinsicht, nämlich um die Beteilung der an der Strecke liegenden Gemeinden und Teilhaber. Während Heubach sich naturgemäß sehr engagierte, waren die an der Strecke liegenden Gemeinden Bettringen und Bargau kaum zu einer Beteiligung zu bewegen. Auch in Gmünd, wo sich insbesondere der Kronenwirt Wirth für die Kraftlinie einsetzte, gab es Bedenken und Widerwillen. Darauf schrieb in der Kolumne „Sprechsaal“ der Gmünder Zeitung vom 5. März 1914 „Ein Heubacher“ erbost: „Daß jeder Heubacher auch für keinen Pfennig mehr bei Gmündern Geschäftsleuten kaufen, bis einmal andere Verhältnisse Platz greifen. Die Inhaber der Gmünder Geschäfte mögen sich dann bei ihren Stadtvätern dafür bedanken.“

 

Das Tauziehen der beteiligten Gemeinden zog sich hin bis April 1914. Als sich die Gemeinden schließlich auf einen Vertragsentwurf geeinigt hatten, bestanden die Deutsche Lastautomobilfabrik AG und deren Vertreter Dieterle auf den ursprünglichen Vertrag. Die Akte schließt mit dem handschriftlichen Vermerk von Stadtschultheiß Wiedenhöfer: „Der Kraftwagenbetrieb ist infolge des Kriegs am 1. August 1914 eingestellt worden.“

 

Die Anbindung von Heubach an die Remstalbahn kam dann zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs in anderer Form, 1920 als Nebenbahnstrecke. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

 

 

 

 

 

Dr. Michael Hensle

 

 

 

(Stadtarchivar und Historiker, Dr. Michael Hensle, arbeitet derzeit das Stadtarchiv Heubach auf)